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Fall Frühling 2025

Beschreibung:

Die Patientin stellt sich in einer orthopädischen Klinik wegen starker, seit Jahren progredienter Schmerzen im rechten Fuss und distalen Unterschenkel vor. Sie kann kaum laufen. Sie ist zum Zeitpunkt 28 Jahre alt. Ihre Krankengeschichte ist lang.  Röntgenologische Veränderungen am Fusskelett und sind seit langem bekannt und langsam progredient. Verschiedene Diagnosen, basierend auf Röntgenaufnahmen, standen im Raum, die jedoch zu keinen weiterführenden Maßnahmen führten.

Jetzt beginnt eine intensive Bildgebung mit CT und MRT; es erfolgt eine Biopsie und nachfolgend eine Operation.

 

Was wäre Ihre Diagnose der Läsion an der distalen Tibiametaphyse?

Zur Beurteilung liegen vor:

  1. CT des Fußes und des distalen Unterschenkels. Sagittale Rekonstruktion, 1 mm Schichten
  2. MRT des Fußes und Unterschenkels. T2-Stir koronar und sagittal, T1 sagittal
  3. Präoperative Röntgenaufnahme des Rückfußes und Unterschenkels

Wir benutzen zur Präsentation der DICOM Bilder den Berlin Case Viewer und danken Prof Dr. Kay-Geert Hermann, Berlin für die Überlassung.

 

EINSENDESCHLUSS: 10.06.2025
Aus den richtigen Antworten wird eine Gewinnerin oder ein Gewinner ausgelost. Der Preis ist eine kostenlose Teilnahme an einem der Seminare von “msk-wissen” 2025/2026. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Die Diagnose des aktuellen Falls Frühling 2025:

Lymphangiomatose (ossäre Angiomatose)

(Synonym: Gorham-Stout-Syndrom)

 

Dr. Matthias Basche, Kassel

hat die Diagnose korrekt gestellt und wurde aus den richtigen Einsendungen ausgelost. Herzlichen Glückwunsch!

 

Das war schwer! Wir merken es sofort an der geringen Beteiligung (13  Kolleginnen und Kollegen)  und natürlich an der Zahl der korrekten Diagnosen (n= 3). Umso wichtiger, dass wir uns noch einmal mit dem Fall befassen. Es sollte jeder Kollege/jede Kollegin zumindest von dieser Erkrankung gehört haben. 

Die eingesandten, anderen Diagnosen waren teilweise sehr bedenkenswert, teilweise etwas abenteuerlich. Auch diese Vorschläge werden im Folgenden diskutiert.

 

Warum ist es eine Lymphangiomatose (ossäre Angiomatose) ?  Welche Befunde müssen eine „stutzig“ machen, dass hier etwas Besonderes vorliegt? Wie kommt man zur richtigen radiologischen Diagnose?

Was ist das eigentlich, eine Lymphangiomatose? Was ist ein Gorham-Stout-Syndrom?

 

Wir hatten Ihnen Informationen (s.o.) mit folgenden Kernbotschaften zur Verfügung gestellt:

  • Die Patientin ist jung
  • Über Jahre progrediente Schmerzen als Leitsymptom.
  • Es liegt ein chronischer Prozess vor. 

Was sind die wesentlichen radiologischen Befunde zum Zeitpunkt der finalen Diagnosestellung, vor Operation?

 

Computertomographie des Fusses und des distalen Unterschenkels

(Bilder ca. 2 Jahre vor Diagnosestellung)

Eigentlich – und typischerweise wie so oft! – stellt die native CT die diagnostischen Weichen: die multiplen Osteolysen erscheinen teilweise serpinginös und lakunenartig, zum Teil aber auch „wurmstichig“ und weisen uniform gut abgrenzbare Läsionsränder auf, begrenzt von stellenweise strähnig verdickten bzw. kondensierten Trabekeln. Insofern ähnelt das Bild doch sehr auffällig einem Hämangiom. Das wichtigste Zeichen jedoch ist der Nachweis und die Präsenz von intraläsionalem Fett innerhalb der Osteolysen, welches den weichteildichten intraläsionalen Strukturen benachbart liegt. Dies schließt eigentliche jede Form eines soliden Knochentumors aus.

Die pathomorphologische Konstellation: lakunäre Defekte mit verdickten Knochentrabekeln und intraläsionalem Fett ist typisch (aber nicht sicher pathognomonisch) für intraossäre, vaskulär verursachte Knochenläsionen.

Abb. 1: native CT sag und cor: Die Pfeile zeigen den teils lakunären, teils urmstichigen

Knochenabbau mit verbliebenen, stellenweise verdickten Trabekeln; man beachte den intraläsionalen Fettnachweis!

  

MR-Tomographie des Fusses und des Unterschenkels

(gezeigt werden Bilder 17 bzw. 6 Jahre vor Diagnosestellung)

MRT kann – auch wie immer – mehr verwirren als zur Lösung beitragen: die entscheidende Sequenz ist die native T1-Wichtung. Diese beweist das schon im CT sichtbare Fett. Dieses Fettsignal liegt zwischen den den hypointensen Knochenläsionen, die in den wassersensitiven Sequenzen stark hyperintens (quasi flüssigkeitsisointens) sind. Damit ist erwiesen, dass es sich weder um eine Osteomyelitis noch um einen (mottenfraßartigen) Knochentumor handelt. Das stets vorhandene Fettsignal im Knochen weist zudem stark auf eine „benigne“ Läsion hin. Verfolgt man in den fettsupprimierten Sequenzen die „hellen“, d.h. signalintensen Veränderungen innerhalb des Knochens, so hat man stellenweise den Eindruck, als ob es sich um tubuläre „Würmchen“ handelt (wegen zu geringer Ortsauflösung aber nur andeutungsweise erkennbar).

Abb. 2: MRT aus 2000 (T1) und 2011 (T2 TSE cor und STIR sag):

Erhaltenes Fettmark zwischen strähnig verdickten Trabekeln (weißer Pfeil in T1); strähnige Trabekel und sehr helles Signal in der T2 TSE (weiße Pfeile); die STIR zeigt das multifokale Befallsmuster. In einer besseren Auflösung erkannt man tubuläre Strukturen.

 

Radiographie des rechten Fusses und Unterschenkels

(Status vor OP bzw. Amputation)

Abgesehen von der Pseudarthrose der distalen Tibia, lassen sich folgende wesentlichen radiographischen Befunde erheben: ausgeprägte (und im Verlauf progrediente) Knochenrarefizierung, vor allem des Calcaneus; multiple, zum Teil konfluierende Osteolysen, v.a. der distalen Tibia und am Rückfußskelett. Dabei Erhalt einer strähnig vergröberten Knochentrabekelstruktur. Besonders augenfällig sind jedoch die ausgeprägten rarefizierenden Knochenresorptionen an den Metatarsalia: diese führen zu einem fast vollständigen Verlust des MT III und einer fortgeschrittenen Resorption der MT II und IV sowie der distalen Tarsalia.

Periostreaktionen fehlen. Im Gegensatz zu Mottenfraßläsionen sind die Osteolysen zum einen ubiquitär verteilt (also nicht geographisch perifokal verteilt wie bei Lodwick-2-Läsionen), zum anderen fehlt trotz der zahlreichen Knochenresorptionen der tumortypische osteodestruktive Aspekt.

Es entsteht also das Bild eines „reaktionslos verschwindenden Knochens“. Doch siehe dazu die Ausführungen weiter unten.

Abb. 3: obere Reihe: Rückfuß seitl. 1994 und 2017; untere Reihe: Vorfuß d.p. 2005 und 2017:

Bereits im Alter von 7 Jahren grobsträhnige Aufhellung im Calcaneus (weißer Pfeil); im Alter von 30 Jahren schwere Rarefizierung der distalen Tibia (mit Pseudarthrose) und des Rückfußes (Pfeil); Die Metatarsalia II – V sind mit 18 Jahren bereits deutlich rarefiziert; deutlicher Progreß im 30. Lebensjahr mit vanishing bone (MT III, gelber Pfeil) und Verschmälerung der übrigen MT II, IV sowie der Tarsalia (weiße Pfeile)

 

Conclusio:

Aus radiologischer Sicht handelt es sich in erster Linie um eine intraossäre vaskuläre Läsion. (Eine AV-Malformation scheidet wegen fehlender Gefäßfeeder, fehlendem flow-void und der hierzu nicht passenden Klinik aus.)

Es handelt sich um eine Lymphangiomatose des Knochens (ossäre Angiomatose) mit Gorham-Stout-Syndrom (vanishing bone disease).

Die Chronizität des Prozesses und auch das radiologische Erscheinungsbild eines zunehmend resorbierten Knochens („vanishing bone“) passen nach dem weiter oben Gesagten gut zu diesem Krankheitsbild (Gorham-Stout-Variante der ossären Lymphangiomatose).

Der Fall wurde histologisch, molekularpathologisch und -genetisch eindeutig verifiziert.

Die Erkrankung ist charakteristischerweise gekennzeichnet durch eine idiopathische massive Osteolyse, hervorgerufen durch eine intraossäre (häm-)lymphangiomatöse Proliferation, die zur ossären Destruktion führt (1).

Die Erstbeschreibung erfolgte bereits 1838 durch Jackson, die ausführliche Originalbeschreibung allerdings dann erst durch die heute namensgebenden Kollegen L.W. Gorham und A.P. Stout im Jahre 1954 (2).

Am häufigsten betroffen ist die laterale Clavicula, seltener Becken, Rippen, die Kiefer, Hände und die Wirbelsäule, noch seltener Füße (3).

Pathogenetisch führt eine endotheliale Dys-/Hyperplasie von Kapillaren und Lymphgefäßen via intraossäre Hyperämie zur osteoklastären Aktivierung, stimuliert durch parakrine Mediatorenfreisetzung (4).

Der Verlauf wird – wie auch in unserem Fall – als progredient beschrieben, wobei aber auch Spontanregressionen möglich sein sollen. Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass Gelenke NICHT als Grenzen respektiert werden.

Die besondere Problematik der Erkrankung besteht darin, dass sie zum einen saltierend voranschreiten (d.h. sie kann weite Knochenabschnitte „überspringen“), zum anderen aber auch Weichteile bzw. Organe befallen kann. Es handelt sich dabei aber nicht um Metastasen, sondern ist Ausdruck einer multifokalen, systemischen Manifestation der Erkrankung (5).

Letzteres würde eine medikamentöse antineoangiogenetische Therapie erforderlich machen.

Obwohl es sich um eine benigne, d.h. nicht-metastasierende Erkrankung handelt, werden auch letale Verläufe beschrieben (6).

 

Anmerkungen zu den eingesandten Diagnosen. Warum ist es keine ….

  1. Morbus Sudeck

Der M. Sudeck (oder das CRPS – komplexes regionales Schmerzsyndrom bzw. Algodystrophie oder sympathische Reflexdystrophie) ist eine zu akzeptierende Differentialdiagnose. Die Diagnose wurde dreimal genannt.

Der M. Sudeck ist bekannterweise eigentlich keine radiologische Diagnose, sondern muß klinisch gestellt werden. Die radiologischen Zeichen, die auf einen M. Sudeck hinweisen können, sind vielgestaltig und uneinheitlich. In der MRT werden kleinfleckige, z.T. auch grob konfluierende Markraumherde beschrieben, die wohl fokal floriden Resorptionsarealen entsprechen. Diffuse Knochenmarködemzonen können ebenso vorkommen, sind aber keineswegs spezifisch. Charakteristisch hingegen ist die fokale bis diffuse Skelettdemineralisation wie sie auf CT und Röntgen erkennbar ist und wie sie ja auch in unserem Fall vorhanden war. Allerdings schreitet der M. Sudeck nicht oder nur selten bis zur vollständigen Knochenresorption voran. Des weiteren wäre untypisch, dass der M. Sudeck wie in diesem Fall das Sprunggelenk überspringt und auf die distale Tibia übergeht. Für gewöhnlich verbleibt der M. Sudeck im ursprünglich befallenen Skelettabschnitt lokalisiert und zeigt keine räumliche

 

  1. Fibröse Dysplasie

Die Fibröse Dysplasie (FD) scheidet eigentlich aus. In allen Abschnitten der betroffenen Knochen fehlt das Mattglaszeichen, d.h. der typische Geflechtknochen aufgrund eines Gendefektes. Zwar gibt es bei der FD regressive Varianten und Verläufe, die durchaus zystisch sein können, doch niemals derartige kleinherdig osteolytische Manifestationen. Manchmal regrediert die FD zu sekundären oder assoziierten Aneurysmatischen Knochenzysten, doch auch diese fehlen vollständig. Fettige Regressionsstadien kommen bei der FD auch vor, jedoch sind sie weder multifokal noch kleinherdig wie im vorliegenden Fall.

 

  1. Morbus Paget

Auch der M. Paget scheidet aus. Die Osteitis deformans ist eine ätiologisch noch immer nicht völlig geklärte entzündliche Umwandlung der Kortikalis mit sklerosierender Verdickung derselben und der angrenzenden Trabekel, was zur bekannten Verbreiterung des betroffenen Knochens führt. Der eigentlich Markraum ist praktisch nie betroffen bzw. infiltriert; er enthält typischerweise weiterhin Fett. Im vorliegenden Fall sind a) sowohl Kortikalis als auch Markraum beteiligt, b) bestehen multiple kleinherige Osteolysen, die für den M. Paget untypisch sind und es fehlt c) die charakteristische kortikale Verbreiterung in allen betroffenen knöchernen Abschnitten.

 

  1. Neurofibromatose

Die Neurofibromatose (NF), genauer die Neurofibromatose Typ I (M. Recklinghausen), stellt  eine interessante und bemerkenswerte Differentialdiagnose dar! Tatsächlich kann die NF I den Knochen betreffen, und hier insbesondere die (distale) Tibia: sie führt dann zu typischen antekurvaten oder varischen Verbiegungen mit oder ohne Stress-/Insuff.-frakturen. Darüberhinaus sind bei der NF I auch primäre Pseudarthrosen (d.h. ohne vorausgegangene traumabedingte Fraktur) beschrieben, die auch die Tibia sowie die Claviclua betreffen. Diese allerdings sind angeboren und werden also im Frühkindesalter manifest. In unserem Fall trat die Pseudarthrose erst im späteren Leben auf und ist Ausdruck einer Insuffizienzfraktur. Zudem stellt der mehrherdige Befall des Fußes mit den ausgeprägten Knochenresorptionen kein typisches Befallsmuster der NF I dar.

 

  1. Chronisch-rekurrierende multifokale Osteomyelitis (CRMO)

Die CRMO stellt eine nicht-bakterielle, auf autoimmunologischer Grundlage beruhende, sklerosierende Osteomyelitisform dar, die typischerweise im Kindes- und Adoleszentenalter auftritt und sich bei prinzipiell gutartigem Verlauf aber sowohl über viele Jahre erstrecken kann (chronisch) als auch rezdivierend (sowohl am gleichen Ort monofokal als auch migrierend oder polytop) in Erscheinung tritt. Im Unterschied zum hier vorgestellten Fall zeigt die CRMO aber überwiegend eine Sklerosereaktion, meist mit Verbreiterung des befallenen Skelettabschnittes (typisch: Clavicula). Herdförmige osteolytische Areale innerhalb der Sklerosen kommen zwar vor, aber niemals in Form eines vollständigen Knochenverlustes (vanishing bone).

Die CRMO stellt zwar im vorliegenden Fall keine ernthafte Differentialdiagnose dar, dennoch ist sie ein durchaus „gefürchtetes Chamäleon“ in Hinblick auf Knochentumoren, allen voran das Osteosarkom!

 

  1. Hypophosphatasie (HPP)

Diese Erkrankung ist eine ausgesprochene Rarität und wurde vom Autor lediglich in zwei eigenen Fällen je selbst beobachtet. Sie stellt einen genetisch bedingten Mangel an alkalischer Phosphatase dar, was im Endeffekt zu einer verminderten Knochenmineralisation und assoziiertem Kleinwuchs führt (zusätzlich finden sich aber auch neuromuskuläre, weichteilige und organbezogene Veränderungen, z.B. an den Nieren).

Tatsächlich ähnelt die HPP radiologisch der Rachitis bzw. Osteomalazie; der Knochen ist untermineralisiert und brüchig. Osteolytische Areale können vorkommen; sind aber niemals so disseminiert verteilt wie in unserem Fall und führen auch nicht zur vollständigen Knochenresorption.

Der entscheidende Unterschied zu unserem Fall ist aber auch, dass die HPP eine generalisierte Systemerkrankung darstellt und damit das gesamte Skelett (auch Zähne!) befällt! Ein mehr oder weniger lokaler Befall einer Extremität wird bei der HPP nicht beobachtet.

Typisch für die HPP sind des weiteren Verbiegungen langer Röhrenknochen sowie deren Verkürzungen und becherartige Auftreibungen der Metaphysen (s. Rachitis). Hierin ähnelt die HPP mehr der Osteogenesis imperfecta, der Achondro-/Hypochondroplasie und dem breiten Spektrum von Dysplasien.

 

Dr. Thomas Grieser                        

 

Literatur:

  1. Bohndorf K, Imhof H, Wörtler K: Radiologische Diagnostik der Knochen und Gelenke. Thieme, 3. Aufl., 2014: S. 320.
  2. Gorham LW, Stout AP: Massive osteolysis (acute spontaneous absorption of bone, phantom bone, disappearing bone). Its relation to hemangiomatosis. J Bone Joint Surg 1954; 37(5): 985-1004.
  3. Singh M et al.: Vanishing bone of the foot. Int J Orthop Surg 2007; 10(2): 1-4.
  4. Möller G, Werner M, Delling G: The Gorham-Stout-Syndrome (Gorham´s massive osteolysis). J Bone Joint Surg (Br.) 1999; 81: 501-506.
  5. Freyschmidt J: Skeletterkrankungen. Springer, 4. Aufl., 2016: S. 611.
  6. Atalabi OM et al.: A lethal form of Gorham disease. Skeletal Radiology 2008; 37: 1041-1046.